Samstag, 23. September 2017

Auf den Bergen der Götter

Ein römischer Kaiser, der seine Regierungsverpflichtungen ernst nahm, war ein vielbeschäftigter Mann. Mich beeindruckt die Anmerkung des Kaiserbiografen Sueton (Zeitgenosse Trajans und Hadrians), dass Augustus passende Kleidung und Schuhe in seinem Schlafzimmer bereit hielt für den Fall, dass man ihn nachts stören musste. (Sueton: "Augustus", 73 ; Ausgabe der Langenscheidtschen Bibliothek, 1855-1905). Aber auch der dienstliche Briefwechsel des Plinius mit Trajan ist ein Beispiel dafür, mit welchen Problemen bis hin zu Detailfragen der Herrscher jenes Weltreiches konfrontiert wurde.

Wann und wie erholte sich der Kaiser? In den Sommermonaten verließen die reichen Römer die Stadt und weilten auf ihren Landgütern, vorzugsweise am Meer. In Brief 31 des Buches VI seiner Briefsammlung berichtet Plinius der Jüngere, dass Trajan auf seinem Landsitz in Centumcellae (Civitavecchia) auch arbeitete: er hielt mit seinen Beratern Gerichtsverhandlungen ab. Plinius, stolz darauf, dabei gewesen zu sein, berichtet von den Fällen, die der Kaiser zu entscheiden hatte, und auch von der anschließenden Freizeit. Im antiken Rom begann man bereits am Nachmittag mit der Hauptmahlzeit (cena), die sich oft über mehrere Stunden hinzog und von Unterhaltung unterbrochen wurde: man hörte Vorleser, Musik oder diskutierte und plauderte miteinander. Die Tafel Trajans war nicht übermäßig luxuriös, aber er war kein Kostverächter.

Es verwundert nicht, dass Kaiser Trajan sich für die Jagd begeisterte, einen typisch aristokratischen Freizeitsport. Plinius rühmt ihn dafür, dass er das Wild gern in der Natur aufstöberte: "Denn Entspannung findest du nur dann, wenn du die Wälder durchstreifst, das Wild aus seinen Schlupfwinkeln aufscheuchst, mächtige Bergrücken übersteigst und deinen Fuß auf starrende Felsen setzest, ohne dass ein Helfer dir seine Hand reicht oder den Weg bahnt; und dazwischen suchst du noch frommen Sinnes heilige Haine auf und nahst dich ihren Göttern". (Panegyrikus, 81).

In Trajan steckte, dessen bin ich mir sicher, auch ein Abenteurer. Im Jahr 114 bestieg er den Kasiosberg bei Antiochia, immerhin über 1.700 Meter hoch, um dem Zeus Beutestücke aus den Dakerkriegen zu weihen. Der Berg galt schon früher als heilig, als Wohnsitz des Wettergottes Baal Zaphon. Er erhebt sich in der Nähe der Küste und diente den Seefahrern als Orientierung. Der Zeus Kasios war auch Schutzgott der Seeleute. Hadrian hat Trajan sicher begleitet, zumal er Verse über das Ereignis verfasste. Später, während einer seiner Reisen, bestieg er den Kasios noch einmal und wollte eine Nacht auf dem Gipfel bleiben, musste sich aber der Überlieferung nach vor einem aufziehenden Gewitter in Sicherheit bringen. Auch den Ätna hat er bestiegen. Ich betone auch an dieser Stelle: Hadrian war Trajans Ziehsohn.

Kaiser Trajan durchstreifte nicht nur die Wälder und stieg auf Berge, er fuhr auch gern zur See: "Wenn er zuweilen Lust verspürt, seine körperliche Kraft auch zur See zu beweisen, dann verfolgt er keineswegs nur mit Blicken oder Gesten das Flattern der Segel, sondern bald sitzt er selbst am Steuer, bald, im Wettstreit mit den kräftigsten Leuten aus der Mannschaft, zerteilt er die Fluten, meistert die widerstrebenden Winde und rudert kraftvoll gegen die Strömung" (Panegyrikus, 80,4). Hiermit ging Trajan über die übliche Körperertüchtigung der Oberschicht hinaus. Man darf nicht vergessen, dass die Seefahrt damals gefährlich war: das Mittelmeer ist voller antiker Schiffswracks.

Als der Kaiser im Jahr 116 mit einer Flotte den Tigris hinab fuhr und den Persischen Golf erreichte, verlangte er, aufs Meer hinaus zu fahren. Beim Anblick eines Schiffes, das nach Indien segelte, beklagte er sein Alter, das ihn hindere, weiter vorzudringen - so der Geschichtsschreiber Cassius Dio. Fühlte Trajan sich wirklich als zweiter Alexander? Er war sich seines Alters bewusst, hat es vermutlich deutlicher als zuvor gespürt. Aber er hat seiner Sehnsucht Ausdruck verliehen. Sein Verantwortungsbewusstsein und Realitätssinn waren, meine ich, überdurchschnittlich ausgeprägt. Aufschlussreich sind die Plinius-Briefe 41 und 42 des Buches X. Plinius beginnt mit schmeichelhaften Worten und stellt dem Herrscher Ruhm und Unsterblichkeit in Aussicht. Dann schlägt er ihm ein Kanalbau-Projekt vor, um einen See bei Nicomedia mit dem Golf von Izmir zu verbinden. Der Kaiser soll einen Architekten aus Rom schicken. Trajan antwortet knapp und sachlich: Es könne ihn schon reizen, den See mit dem Meer zu verbinden. Aber es müssten unbedingt gründliche Untersuchungen durchgeführt werden … Die Zusage, einen Experten zu schicken, nahm er später zurück.

Die Zeit der großen Eroberungen war vorbei. Erst Hadrian hat das in vollem Umfang erkannt. Wenn ein so öffentlicher Mensch wie Trajan privaten Sehnsüchten nachgab, wurde er angreifbar. Aber jene persönlichen Nachrichten über ihn sind es, die berühren. Er war weder Gott noch Halbgott, sondern ein Mensch mit Stärken und Schwächen.

Literatur:

Plinius der Jüngere, Panegyrikus, herausgegeben und übersetzt von Werner Kühn, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1985, ISBN 3-534-09220-1

Plinius der Jüngere, Briefe, Philipp Reclam jun., Stuttgart, ISBN 3-15-059706-4

Cassius Dio, Epitome of Book 68

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